«Es wird einen nie zuvor gesehenen Fokus auf unsere Sportart geben»

Paraclimbing wird 2028 in Los Angeles erstmals Teil der Paralympischen Sommerspiele sein. Ein riesiger Erfolg für die noch junge Sportart. Sebastian Depke ist einer der treibenden Köpfe hinter diesem Triumph. Im Interview erzählt er, was dieser Entscheid fürs Paraklettern bedeutet.

Mitte August 2028 finden in Los Angeles die olympischen und paralympischen Spiele statt. Erstmals mit dabei an den Paralympic Games ist als 23. Sportart Paraclimbing. Dass sich diese junge und über die Kletterszene hinaus noch wenig bekannte Sportart gegen ihre Mitbewerber durchsetzen konnte, kommt einer Sensation gleich.

Gestern hat das Governing Board des International Paralympic Commitee (IPC) den Antrag von LA28, Paraclimbing ins paralympische Sportprogramm aufzunehmen, offiziell abgesegnet. Wir haben mit Sebastian Depke, selbst Parakletterer und Vorsitzender der Paraclimbing Commission über diesen Entscheid und dessen Auswirkungen gesprochen.

Die Freude ist gross: Para Climbing ist an den Paralympic Games 2028 in LA mit von der Partie. Bild: Slobodan Miskovic
Die Freude ist gross: Paraclimbing ist an den Paralympic Games 2028 in LA mit von der Partie. Bild: Slobodan Miskovic

Sebastian, Paraclimbing wird Teil der Paralympic Games 2028 in LA sein. Was bedeutet das fürs Paraclimbing?

Als Teil der Paralympics wird Paraclimbing zuerst einmal „additional Sport“, so wie Sportklettern es auch in Tokyo war. Wir sind dann auf Wunsch des lokalen Veranstalters LA28 neben den 22 „Program Sports“ mit dabei auf der größten Sportbühne, die es weltweit gibt.

Es wird einen nie zuvor gesehenen Fokus auf unsere Sportart geben, die bisher noch ein echtes Bekanntheitsproblem hat.

Sebastian Depke

Ich wusste z.B. gar nichts von Paraclimbing, obwohl ich jahrelang schon mit Behinderung auf sportlichem Niveau geklettert habe und musste erst von einem Weltcup-Kletterer (Jernej Kruder, den ich damals auf Mallorca bei Es Pontas getroffen habe) darauf aufmerksam gemacht werden, dass es für mich ja ein Format und eine eigene Sportart auf höchstem Niveau gibt – und solche Geschichten passieren bis heute…

Ich rechne mit einem großen Zulauf (sog. Athletenhopping zwischen Sportarten, durchaus üblich in der Para-Welt), erhöhtem Leistungsdruck für die Athleten und Entwicklungsdruck für die nationalen Verbände und auch bei der IFSC, wo vorher nur wenig Fokus drauf gerichtet war, wird nun ganz genau hin geschaut werden und auch die Erwartungen an die IFSC und die nationalen Verbände werden steigen.

Gleichzeitig werden finanziell deutlich größere Mittel zur Verfügung stehen, da (para)olympischen Sportarten in der Regel eine deutlich höhere Förderung auf nationaler Ebene zur Verfügung stehen.

Sebastian Depke
Sebastian Debke beim Para Climbing World Cup in Villars 2023. Bild: Jan Virt | IFSC
Sebastian Debke beim Paraclimbing World Cup in Villars 2023. Bild: Jan Virt | IFSC

Was bedeutet dir dieser Entscheid persönlich?

Für mich als Vorsitzender der Paraclimbing Commission, der über Jahre darauf mit hin gearbeitet hat, ist das quasi schon meine olympische Medaille – zudem ich damit nicht gerechnet habe. 33 Sportarten haben sich beworben, 22 sind mit dabei und das IPC hat dem Veranstalter noch die Entscheidung offen gelassen, ob er Para Surfen und/oder Paraklettern mit dabei haben möchte als „additional Sport“ – und nun ist die Entscheidung zu unseren Gunsten gefallen!

Wir sind Sportart Nr. 23 in LA und unter den 10 ausgeschlossenen sind sehr große und erfahrene Sportarten, die teilweise auch schon früher mit dabei waren und über deutlich mehr Erfahrung verfügen, als wir.

Wir haben uns überhaupt das allererste Mal auf die Paralympics beworben und aus meiner Sicht einen ziemlich knappen Onsight auf der Route zu den Paralympics hin gelegt.

Sebastian Depke

Wenn wir etwas hinter die Kulissen schauen: Wie lange hat der ganze Prozess gedauert, Paraclimbing Olympisch zu machen – von den ersten Gedankenspielen bis zum finalen Entscheid?

Die IFSC ist noch relativ jung und wurde erst im Jahr 2006 gegründet. Die erste Para-WM fand in Arco 2011 statt und seitdem steht es eine regelmäßige Para-Wettkampfserie im Kalender. Die IFSC hat vom IPC im Jahr 2017 den Status recognized federation erhalten, d.h. die IFSC ist der internationale Verband, der vom IPC als zuständig angesehen wird fürs Paraclimbing.

Der RF-Status ist der erste Schritt auf dem Weg zu den Paralympics und bedingt eine Entwicklung der Sportart hin zu den IPC-Standards. Im Strategic Plan 2020-2028 steht das Ziel der Entwicklung von Paraclimbing hin zu den Paralympics ganz klar mit drin und Marco Scolaris hat auch auf die Bewerbung für LA28 hin gedrängt. Die Bewerbung ist immer 7 Jahre vor den Spielen (egal ob beim IOC oder IPC, wegen Covid etwas verzögert) aber letztendlich hat es großen Vorlauf.

Wer waren die treibenden Kräfte hinter diesem Vorhaben?

Marco Scolaris hat die Vision, 2028 bei den Spielen Sportklettern und Paraklettern mit im Programm zu haben und mit seinen Mitarbeitern im IFSC-Büro darauf hin gearbeitet. Die Paraclimbing Commission wurde 2019 komplett neu aufgebaut. Seitdem bin auch ich mit dabei, damals als Athletensprecher und auch Vorsitzender (intern gewählt) und wir haben als Commission die Sportart auf die Zielgerade gebracht.

Marco Scolaris (links im Bild) hat sich mit seinem Team bei der IFSC dafür stark gemacht, Sportklettern und Para Klettern in Los Angeles mit dabei zu haben. Bild: Slobodan Miskovic
Marco Scolaris (links im Bild) hat mit seinem Team bei der IFSC darauf hingearbeitet, Sportklettern und Paraklettern in Los Angeles mit dabei zu haben. Bild: Slobodan Miskovic

Was waren die grössten Herausforderungen und Stolpersteine auf diesem Weg?

Das IPC hat einen großen Kriterienkatalog, den eine Sportart für die Aufnahme in die Spiele erfüllen muss. Durch den Fakt, dass das IOC sehr ähnliche Kriterien hat, hat die IFSC bereits sehr viel sowieso erfüllt. Einzige fehlende Elemente war damals noch die internationale Verbreitung und die Einführung des IPC-Klassifizierungssystems.

Die „alten“ Klassifizierungsregeln hatten 2,5 Seiten und entsprachen nicht den IPC-Standards, in der Corona-Zeit gab es für uns ein Jahr ohne Wettkämpfe (2020), in dem wir in Ruhe die neuen IPC-basierten Regeln (Umfang jetzt ca 50 Seiten) ausarbeiten und einführen konnten inkl. Ausbildung von unserem eigenen Team an Klassifizierern, die wir mit Hilfe von Experten aus anderen Sportarten ausbilden konnten.

Der erste Wettkampf danach, Innsbruck 2021, bedeutete dann eine Neuklassifizierung des gesamten Starterfelds auf Basis der Regeln, die quasi nur theoretisch am Schreibtisch entstanden sind, und die seitdem jedes Jahr weiter optimiert werden.

Für einen solchen riesigen Schritt ist der erste Wurf schon richtig gut gelungen und die Klassifizierung ist seitdem auf einem sehr guten Weg.

Sebastian Depke
Der österreichische Para Kletterer Angelino Zeller ist als dreifacher Weltmeister eines der Aushängeschilder des Sports. Bild: Slobodan Miskovic
Der österreichische Parakletterer Angelino Zeller ist als dreifacher Weltmeister eines der Aushängeschilder des Sports. Bild: Slobodan Miskovic

Du bist nicht nur Athlet im Deutschen Team sondern auch Vorsitzender der IFSC Paraclimbing Commission. Inwiefern warst du in dieser Funktion daran beteiligt, dass Paraclimber in LA starten können?

Als Vorsitzender der Commission (Expertenrat aus Routenbauern, Klassifizierern, Athletensprechern, Coaches-Vertretern und Experten) habe ich die Aufgabe, die Arbeit der Commission zu leiten und zu dirigieren. Heißt die richtigen Fragen stellen, die richtigen Leute miteinander in Verbindung zu bringen und die Arbeit am laufen zu halten, zwischen allen Instanzen zu vermitteln und die Roadmap klar im Blick zu haben. Als solches habe ich hinter den Kulissen ganz vorne mit dabei mitgewirkt, dass wir heute da stehen, wo wir sind.

2011 feierte Paraclimbing mit einer eigenen Weltmeisterschaft Debüt, 2028 wird Paraclimbing olympisch. Wie hat sich der Sport in dieser Zeit entwickelt?

Neben den bereits angesprochenen Punkten sind die Wachstumszahlen (Teilnehmer am größten Wettkampf im Jahr) über die Jahre sehr konstant und beeindruckend:

  • 2011: 35
  • 
2012: 61

  • 2014: 71

  • 2016: 72

  • 2018: 126
  • 
2019: 158
  • 
2020: Covid
  • 
2021: 114 (mit Covid Restriktionen)

  • 2023: 200
  • 
2024: 214
Die Französin Solenne Piret zählt zu den stärksten Para Kletterinnen. Bild: Slobodan Miskovic
Die Französin Solenne Piret zählt zu den stärksten Parakletterinnen. Bild: Slobodan Miskovic

Wo soll es noch hingehen, bzw. was wünschst du dir fürs Paraclimbing?

Weiteres Wachstum, mehr teilnehmende Länder (es fehlen noch einige große Kletternationen), mehr Wettkämpfe auf internationaler, kontinentaler und nationaler Ebene sowie eine bessere finanzielle Förderung auf allen Ebenen.

Du bist Macher der Seite paraclimbing.org, wie ist dieses Projekt entstanden und was ist die Idee dahinter?

Ich bin beruflich ITler und hatte die Domain zum Spaß registiert, bevor ich eine größere Aufgabe im Weltverband hatte. Dann war ich eines Tages in der Commission und dachte mir, was die IFSC macht ist schon gut, aber wir brauchen mehr, vor allem unabhängig, denn Paraklettern ist mehr als nur IFSC-Paraklettern!

Mein Ziel war und ist es, eine simple und übersichtliche Informationsplatform und einen möglichst vollständigen Veranstaltungskalender (über den der IFSC hinaus) anzubieten, und das in 3 Sprachen: Deutsch, Englisch und Französisch.

Sebastian Depke

Und mich freut es jedes Mal, wenn ich Fernsehmoderatoren, Presseleute oder Stadionkommentatoren mit meiner ausgedruckten Webseite durch die Gegend laufen sehe oder nationale Verbände dort hin verlinken, weil es „in ihrer Sprache“ ist.

Dies soll keine Konkurrenz zur IFSC sein oder die Infos auf der IFSC Webseite ersetzen, sondern ist eine Ergänzung darüber hinaus und um der Sportart eine größere Oberfläche und Reichweite zu bieten – was mit meinen privaten Mitteln und Zeit eben möglich ist. Ideen zur Erweiterung habe ich viele, Zeit aktuell leider wenig.

Sebastian Depke (rechts kniend) mit dem deutschen Team am Paraclimbing World Cup in Salt Lake City. Bild: Slobodan Miskovic
Sebastian Depke (rechts kniend) mit dem deutschen Team am Paraclimbing World Cup in Salt Lake City. Bild: Slobodan Miskovic

Das Abschlussvotum gehört dir. Was willst du uns mit auf den Weg geben?

Liebe Klettermedien, spread the word of Paraclimbing! Its there and its amazing! Auch wenn Parasport andere Menschen mit Dingen konfrontiert, wo wir gerne eher weg sehen (Krankheit, Unfälle, Schicksal, Krieg, Terror), so sollte einem jedem bewusst sein, dass das Leben für jeden tödlich endet und das Thema Behinderung auf dem Weg dahin mit hoher Sicherheit für einen selbst oder im nahen Umfeld plötzlich ein Thema sein kann und wird.

Heute bist Du Kletterer und morgen vielleicht schon Parakletterer.

Sebastian Depke

Wir haben international dort so einige Beispiele…und Beispiele vor allem davon, was es heißt, trotzdem aufzustehen oder mit dem Rollstuhl weiter zu rollen, an die Wand zu gehen und das zu tun, was wir lieben: Klettern. Und diese Botschaft tragen wir daraus in die Welt – und bald sogar auf der größten Sportbühne der Welt.

Geht raus, liebt Euer Leben und egal was für Hindernisse sich darin ergeben mögen, es gibt immer einen Weg. Nur möglicherweise liegt der ganz woanders, als wo wir ihn uns wünschen oder gerne hätten.

Sebastian Depke

Sebastian Depke

Sebastian Depke
Sebastian Depke. Foto: Nicholas Perreth

Sebastian Depke begann 1998 mit Klettern und hat vor seiner starken Einschränkung durch Morbus Bechterew alles mögliche gemacht: Sportklettern, Erstbegehungen, Sanierungen, technisches Klettern, Mehrseillängenrouten bis hin zu Bigwall-Luft schnuppern.

Der Weg ins deutsche Team fand er über einen Tipp von Jernej Kruder. Und so steht seit 2017 auch Wettkampfklettern am Plastik in seiner Kletterlaufbahn mit drin. Seinen Palmarès schmücken 4 Bronzemedaillen und einen 4. Platz an der WM in Bern 2023.

2024 will der 38-Jährige alle IFSC-Wettkämpfe mitmachen und dabei nicht nur möglichst gut sein, sondern auch Spass haben. Nach Innsbruck und Villars wird er von Spanien aus, wo er lebt, mit einem selbst gebauten Solar-Handbike anreisen. Ein Abenteuer ganz nach seinem Geschmack.

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Credits: Titelbild Slobodan Miskovic

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